Donnerstag, 14. Dezember 2017

Willkommen Herbstmädchen




Ich habe gerade den Geburtsbericht gelöscht. Hatte alles aufgeschrieben, jeden Schritt. Doch das erschien mir plötzlich, heute nicht mehr wichtig. Wie das Herbstmädchen zu mir kam, ist letzten Endes egal. Ich meine, was ist wichtig dabei, wie es geschah? Ob die PDA gut gesetzt wurde und wie lange der Schmerz an der Narbe anhielt. Es gibt wohl Bedeutsameres zu berichten, wenn ein Kind das Licht der Welt erblickt hat. Nur soviel. Es war ein Kaiserschnitt, denn sie wollte oder konnte sich nicht drehen. Sie lag all die Zeit mit ihrem Kopf unter meiner Brust und verließ diesen Ort am 02.11.17 um 8:26 Uhr mit Hilfe vieler helfenden Hände. So ganz anders als bei der Geburt von der Großen haben wir uns kennengelernt. 
Jetzt sind wir heute sechs Wochen zusammen, hier nebeneinander. Ich bin vor lauter Schlafmangel ziemlich verpeilt, nachts zeitweise am verzweifeln und dann, wenn sie in meinem Arm liegt, an meiner Brust trinkt, so erfüllt von Dankbarkeit. Wieder fühle ich diese Sicherheit, dass es eben genau dieses Kind sein musste. Hätten wir uns letztes Jahr im Sommer nicht von dem Pünktchen verabschieden müssen, wär sie heute nicht da. Sie ähnelnd mir als ich so klein war und trotz der Unterschiede zu ihrer großen Schwester, sehe ich M. in ihr jedes mal, wenn ich sie anschaue.
Gelassener als beim ersten Kind, erlebe ich den Alltag. Ich sehe die Große mit anderen Augen. Mein kleines Rehlein, welches so fürsorglich und vernünftig ihre große Schwesterrolle einnimmt und mich doch noch so sehr braucht. Voller Stolz trage ich das kleine Bündel und halte das große Kind an meiner Hand.  Ich weine ständig, denn schöne Musik oder emotional gesprochene Worte lösen dank Hormone eine Flut an Gefühlen bei mir aus. Und auch wenn es nach wie vor eine Herausforderung für mich ist, den Haushalt nicht in Perfektion erledigen zu können, übe ich mich in Geduld und nehme mir Zeit für eben andere Dinge, wie jetzt hier zu schreiben. Schon oft in den letzten Wochen dachte ich "och, darüber könntest du ja mal schreiben..."! Doch so gehen die Tage vorbei und ich lasse die Themen kommen und gehen, während ich sie gedanklich verfasse. Ich dachte an Eifersucht der Großen und die damit kommenden Veränderungen, an die gestressten Mütter meiner Generation und warum wir unsere Mütter immer so gelassen erlebt haben. Ich dachte an das Vermissen des Jobs und an die systemischen Veränderungen, die eine Geburt in der Familie bewirkt.
Und wer weiß? Vielleicht schreibe ich auch nochmal über das ein oder andere. Doch jetzt gerade wird mir bewusst, dass ich mit keinen Worten dieser Welt beschreiben kann, was es an Vielfältigkeit in mir auslöst, was hier gerade passiert. Als M. geboren wurde, wurde ich ganz plötzlich zur Mutter. Das bin ich ja jetzt schon über fünf Jahre und kenne meine Stärken und Schwächen in dieser Rolle. Nun macht es fast noch mehr Spaß, das alles nochmal und doch so anders zu erleben. Denn du weißt, dass es wieder ruhigere Nächte geben wird, dass es irgendwann das letzte mal ist, dass sie dich wecken, in dein Bett gekrochen kommen. Zu sehen, wie die Zeit vergeht, macht mir Angst! Kommt M. nächstes Jahr in die Schule! War das Thema z.B. am Ende der Schwangerschaft noch so heftig emotional für mich, kanalisiert sich die Sorge nicht mehr nur auf ein Kind. Man könnte sagen, jetzt sorgste dich doppelt. Und doch schwingt Erleichterung mit. Denn auch das sich sorgen löst sich ab. Mit Freude und Entspannung. Und die Erkenntnis, dass mit jeder großen Liebe auch die Angst um ein Verlassen kommt, ist mir ja Gott sei dank nicht neu. So hat es mich diesmal nicht ganz so eiskalt erwischt. Es kam ganz leise früh morgens am Wochenende, als der Papa mit der Großen schon wach war und drüben einen Film schaute, betrachtete ich C. im Schlaf und dachte so "jetzt ist es soweit! Ich liebe sie so sehr! Eben auch so sehr, dass es weh tut!"
"Mama, warum geht es in Liedern ständig um die Liebe?" Fragt das Rehlein mich im Auto. Muss ich immer beantworten, um was es in den Songs geht...
"Weil die Liebe die größte aller Kräfte ist!" ist immer meine Antwort. Und darauf hin fragt sie nie weiter. Als ließe diese Antwort keine weiteren Fragen offen.
Wir warten auf die Hebamme, hören Andy McKnee "for my father" und mir rollen natürlich wieder ein paar Tränen runter. Ich alte Seelenberührte. Und das Herbstmädchen liegt neben mir und holt den Schlaf der vergangenen Nacht nach. Willkommen...