Freitag, 14. Juli 2017

vom Schweben und Kontrollieren

Ich mache nicht da weiter, wo ich aufgehört habe, denn dafür ist zu viel Zeit vergangen.
Als ich im Februar letzten Jahres das letzte mal hier etwas gepostet habe, war dies eine kleine Liebeserklärung an das Rehlein. Seitdem habe ich keinen der Einträge mehr gelesen. Es ist eine gute Entscheidung meine Gedanken wieder hier zu lassen, denn auch wie die Zeit, die nicht aufzuhalten ist, verfliegen die Momente und Augenblicke. Doch sie bleiben oder kehren wieder, wenn ich sie hier noch einmal Revue passieren lassen darf. Neben dem Rehlein, welches natürlich nicht in seiner Entwicklung stehengeblieben ist, bin ich Hüterin einer Erfahrung, welche mein Leben von zahlreichen Seiten her verändert hat. Ursprünglich hatte ich den Wunsch , dies in dieser Form mit anderen zu teilen, verworfen. Doch nun, eine ganze Weile danach, kommt mir der Gedanke, dass es, kein tabuisiertes Geheimnis für mich sein soll.
Das Leben spielt dir die Scheiße zu. Da brauchst du keine Sorge haben, dass es dich vergisst. Und so sehr man sich auch mit anderen "Fällen" vergleicht, an den Schicksalen anderer teilnimmt, so sehr hockt man doch eingelegt im eigenen Saft,  wenn es einen erwischt.
Interessant, wie ich mich versuche der Sache zu nähern, ohne den ersten Schritt zu wagen. Eigenwahrnehmung - wichtiges Ding!
Also...im Frühjahr 2016 war ich mitten in meinem Traumjob angekommen. Es lief wunderbar und das Rehlein war nach anderthalb Jahren Kita auch rundum zufrieden mit seinem Kinderalltag. Wir alle drei hatten die größten Hürden der täglichen Familienstruktur hinter uns gelassen. Schlafen, Essen, Trennung, alles kein Problem mehr. Zeit für uns Eltern, Zeit für uns als Familie, Zeit für  Hobbys, Zeit für Mama alleine. Perfektes Timing also, um dem allem vorerst ein Ende zu setzen. 
Wir wollten das zweite Kind in Anlauf nehmen. Im Sommer könnte die Schwangerschaft beginnen, dann wäre ich 2 Jahre raus und könnte noch 1 Jahr mit meiner Kollegin...und so weiter und so fort. Ich bin ein Kontrollfreak. Ich weiß das von mir und ich liebe es. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nur nicht, wie ich mich selber lieben könnte, wenn das mit dem Kontrollieren nicht funktioniert.
Ende Juni hielt ich dann den positiven Test in den Händen. Große Freude. Ungläubig, dass es jetzt wirklich so war, lebte ich den Alltag und wog ab, wann ich die Bombe auf der Arbeit am besten zum Platzen brachte. Eine Kita zu leiten bedeutet 100% deiner Aufmerksamkeit, kein Platz für Müdigkeit oder Übelkeit. Dazu kommt meine mit den Jahren immer mehr wachsende, ich nenne sie mal "Empfindlichkeit" gegenüber Bakterien. Schlechter Ort zum Arbeiten, wenn man weiß, dass man nicht gegen alles immun ist, was dem Minimensch in einem schaden könnte. Ich arbeitet noch ca zwei Wochen, bevor ich es dem Arbeitgeber sagte und damit ins sofortige Beschäftigungsverbot ging. Die Sommerferien standen kurz bevor und ich hatte eh eine Woche früher Urlaub, daher konnte ich ganz gut verschwinden. Es würde nicht so auffallen, schließlich möchtest du nicht allen Eltern von deiner Schwangerschaft erzählen. Außerdem bekam unser Bad eine Kernsarnierung und wer das schon mal erlebt hat weiß, dass eine Stunde Putzen täglich mit dem ständigen Ein und Ausgehen der "Bau-Männer" wie sie das Rehlein und ich dann später auch nannte, das Minimus an Schadensbegrenzung ist. Da war ich in der sechsten oder siebten Woche. Wir fuhren, nachdem ich einmal kurz beim Frauenarzt die kleine Fruchthöhle sehen durfte, für zwei Wochen nach Holland. Wir sagten der großen Schwester noch nichts. Macht man ja so. Nicht, bevor die ersten drei Monate um sind. Es würde schon nichts passieren, doch ich hielt mich an den Leitsatz und freute mich auf den Moment. Sooo sehr wünschte sich das Rehlein ein Geschwisterchen. Alle ihre Freundinnen hatten schon eins. Einmal im Auto unterhielten wir uns:
R: " Mama, wenn man alleine ist als Kind in einer Familie...wie nennt man das?"
M:" Einzelkind" ist man dann...wie der Papa"
R:" Sind wir solche Leute?"
M:" Oh Schatz, wir wollen auf jeden Fall noch ein Kind. Doch man kann es nicht erzwingen. Ich wünsche es mir aber ganz fest!"

Die zwei Wochen im Urlaub waren schnell vorbei und ich war froh darüber. Ging es mir doch eher bescheiden. Wie gut, dass man es immer wieder vergisst, wie unbequem doch gerade die ersten Monate einer Schwangerschaft sein können. Ich dachte ständig darüber nach, wo diese kribbelige Freude war, die ich in der ersten gespürt hatte. Die war einfach nicht da. Ich schob es auf die Übelkeit und den Renovierungsstress und auf eben alles, war gerade so zu finden war.
21.03.17 solltest das Kind kommen..so ungefähr eben. Passte gut in den Plan.
Als der Mann und ich dann in der neunten Woche wieder zum Ultraschall fuhren, hatte ich die kleine Bohne vor Augen, die das Rehlein in dieser Phase abgegeben hatte. In einer Millisekunde war mir klar, dass das winzige weiße Etwas auf dem Bildschirm nicht das war, was ich erwartet hatte.
Und so hörte ich gedämpft von der Ärztin: "Da ist nichts. Es hat sich nicht richtig entwickelt". Stille.
Anschließend hat sie mich - uns noch irgendwie beraten wollen. Ich weiß noch, dass sie sagte, das habe sie schon lange nicht mehr gehabt. Das kam mir total bescheuert vor. Als ob mich interessiert, was die in ihrer Praxis für Fälle hat oder nicht.
Auf dem Weg nachhause, mailte ich direkt meinem Chef. Völlig im Denk Luftleeren Raum, gab ich an, man solle doch bitte mit der Stellenausschreibung für die Neubesetzung warten. Ich hätte das Kind verloren und käme bald wieder.
Zuhause verlor ich mich in Kopflosigkeit. In zwei Tagen war Rehleins vierter Geburtstag. Wie und wann konnte ich ins Krankenhaus? Ich wollte es einfach hinter mich bringen, wieder von vorne versuchen, schnell wieder schwanger sein. Mein Körper war immer noch der Meinung es wäre so. 
Wir konnten direkt ins Krankhaus, auch wenn am Freitag mittag nichts mehr vor der nächsten Woche gemacht werden würde. Aber nochmal nachschauen und planen erschien mir besser, als jetzt das Geburtstagswochenende einfach so auszusitzen.
Der Oberarzt war super nett. Er schallte sehr gründlich und gegen alle Erwartungen sah ich ein kleines Flimmern. Ganz schwach. Er stockte kurz und meinte dann :" Ich sehe einen Herzschlag!"
Wenn ich jetzt daran zurückdenke, weiß ich nicht, wie ich dieses Gefühlschaos überstanden habe.
Da schlug tatsächlich ein kleines Herz. Es sah aber alles trotzdem viel zu klein aus, eher wie in der 6. Woche. Doch trotz meines Nachfragens, meinte er es wäre alles in der Frühschwangerschaft möglich, da würde er keine Prognosen machen.
So fuhren wir erst einmal wieder nachhause und ich schrieb meinem Chef, dass doch wieder alles anders sei. Er solle einfach noch warten. Das Gefühl aber war unausstehlich. Ich hatte es ja gesehen. Viel zu klein bei viel zu viel Fruchthöhle plus mein komisches Gefühl, was mich ständig fragte, wieso denn da ein Herz schlägt..
Wir feierten den vierten Rehleingeburtstag mit der Familie und zwei Tage später den meiner Oma und außer meiner engsten Familie und meinen besten Mädels wusste niemand etwas von der Sache.
Wir waren dann nochmal Montags im KH und konnten den schwachen Herzschlag nochmal anschauen. Ich fühlte mich die ganze Zeit als schlechter Mensch. Wollte ich doch all meine Liebe, meine Vorfreude in dieses kleines Wesen pumpen und es ging einfach nicht. Wer bist du? Was machst du da und was wird aus dir ...aus uns? Neben der Übelkeit mit diesem Wirrwarr noch ein kleines Mädchen auf seine Kinderparty vorzubereiten, war eine der größten Herausforderungen dieser Tage. Als wir eine Woche später zur Kontrolle fuhren, hoffte ich einfach nur auf Klarheit. Schweben...für mich ohne hin ein nicht einfacher Zustand und jetzt sollte dieses Unwissen einfach verschwinden. Es war nicht verschwunden. Nur der Herzschlag war weg. Wir machten einen Termin für Montag. Das ganze Wochenende samt Party lag vor uns. Absagen? Durchziehen? Null Plan. 
Wir holten das Rehlein gemeinsam von der Kita ab, nachdem wir uns beide kopflos im Auto gestritten hatten. Was soll ein Mann seiner Frau sagen, wenn sie ein totes Kind im Bauch hat? Was braucht sie da, was will sie hören? Ich wusste es selber nicht und es tat mir schrecklich leid. Für uns alle.
Die Party war schön und obwohl sich alles weiterhin wie ein schlechter Film anfühlte, so wusste ich doch endlich was als nächstes geschehen würde. Mein Körper wusste noch nichts davon, der schien immer noch schwanger zu sein.
 Ich hatte keine Angst vor der OP, wollte einfach so schnell wie möglich von vorne beginnen, wieder in der Alltag starten.
Ich nahm mir drei Wochen Auszeit. Dann konnte ich mich wieder gut von der Arbeit ablenken lassen. Die Kollegen waren zauberhaft und dank der langen Sommerpause hatten die Eltern in der Kita nichts bemerkt. Auch wenn ich froh war, wieder Normalität spüren zu dürfen, wurde mir klar, wie schwer es für mich war. Traurig sein zu dürfen und sich dabei doch anzunehmen, es auszuhalten, es einfach nur zu sein. Das war die wichtigste Lehre. Warum das kleine Leben sich noch gezeigt, mich eine Woche lang begleitet hat, weiß ich nicht. Ich habe einen Platz im Garten, unser "Wunschbeet". Dort liegt jetzt der Stein vom "Pünktchen"...liebevoll bemalt und mit Goldfäden umwickelt.
Manchmal denke ich an dich und werde traurig und dann lasse ich das Gefühl auch da sein, schiebe es nicht mehr weg. Du bist jetzt ein Teil von meinen, unserem Leben.
Der 21.03.17 kam so schnell auf uns zu. Ehrfurcht hatte ich vor dem Datum. Zwischenzeitlich wurde eine Freundin schwanger und in der Kitagruppe des Rehleins wurden Geschwisterkinder geboren. Ich verstehe jetzt die Frauen, welche keine Babys und Schwangeren sehen wollen und können. Fremd war ich mir und doch näher als je zuvor, als ich keine Glückwünsche über die Lippen brachte vor Trauer und Wut über die eigene Situation. Die Tatsache, dass ich ein Wunder bereits bei mir habe, hat mir natürlich viel Trost gespendet. Mein Kind, welches so scheinbar einfach in unser Leben kam, ohne Sorgen geboren wurde und der Mittelpunkt von all dem ist. Als das Rehlein die Ultraschallbilder fand und fragte, ob sie das wäre, wusste ich, dass der Zeitpunkt da war es ihr zu sagen. Ich fühlte mich sicher genug an diesem Morgen, ganz unaufgeregt beim Frühstück.
"Das ist das Baby, bei dem es leider nicht geklappt hat."
"Aber es kann doch beim nächsten Mal klappen, Mama oder?"
Zwei Wochen vor dem 21.03. testete ich positiv. Dass ich jetzt endlich bei dem Teil der Story angekommen bin, erleichtert mich! War es doch ein langer Weg voller Zweifel, Hoffnung und Angst. Und die Gefühle sind es auch, die dich immer begleiten, wenn du Kinder hast. Es hört nie auf.
Doch über all dem schwebt die Liebe. Und wenn ich es nun zaghaft in mir spüre, dass da etwas ist, neues und doch vertrautes Leben, dann ist es das Gefühl vom Schweben. Und ich kann es aushalten, in mich hineinschmunzeln und ganz fest daran glauben. Ist es eben nicht zu kontrollieren, was mit uns geschieht. Ob es am Ende klappt, ob es bleibt oder geht, wie es sein wird. Ich kann es nicht steuern, kann nur entscheiden, was ich daraus mache. Sich schweben zu lassen in der unbekannten Vorfreude, ich lerne es gerade.
Die ersten 23 Wochen sind rum. Das Rehlein freut sich wie Bolle und wir sind wieder in Holland. Wieder schwanger ans Meer, diesmal die Übelkeit hinter mir gelassen, genieße ich die Zeit hier. Das alles jetzt geschrieben zu haben, wühlt mich auf. Doch es sichert auch, fühlt sich an wie eine Bestätigung. Bestätigungen sind gut. Sie geben uns das Gefühl, dass wir da, wo wir jetzt sind, hingehören.